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Ride and Rescue 2024

Es ist 7:45 Uhr in einem Dorf bei Wien: wir haben gerade noch frühstücken können, dann brechen wir schon auf - und müssen erstmal die Rettungsleitstelle unterstützen. Drei Anrufe gehen ein und fordern uns medizinisch, vor allem aber auch menschlich und kommunikativ heraus.

Danach geht es direkt weiter zu unserem ersten richtigen Einsatz. Über staubige Feldwege durch die frühmorgendliche Sonne des niederösterreichischen Spätsommers in den Nachbarort. Hier hatte ein Säugling einen Krampfanfall, der Vater hat die Rettung gerufen. Als wir dazukommen, wird das Kind plötzlich reanimationspflichtig. Unser ganzes Team ist gefordert, wir schaffen es, es zu stabilisieren und verweisen es bei auffälliger Neurologie an einen Maximalversorger. Zum Glück kann bei strahlendem Sonnenschein der Hubschrauber in die Klinik transportieren.

Schon geht es zum nächsten Einsatz, wieder über Feldweg, eine Ortschaft weiter. Ein Bauer hat von einer kaputten Bohrmaschine einen Schlag abbekommen - und sich vor Schreck ins Bein gebohrt. Auch die Ehefrau hat bei der Rettung einen Stromschlag abbekommen und so behandeln wir auf einmal nicht nur einen, sondern zwei Patienten. Die Betreiber des Hofes versorgen und noch mit kühlen Getränken und Kaffee und dann ziehen wir weiter.

Unser dritter Einsatz führt uns an einen Badesee. Eine Mutter hat ihr Kind aus den Augen verloren, es ist im See ertrunken und wird reanimiert. Und als wäre das nicht genug, klagt dann auch noch die Mutter nach einem Insektenstich plötzlich über Atemnot. Wieder müssen wir uns aufteilen und zwei Patienten versorgen.

Vom Badesee aus kehren wir zu einer wohlverdienten Pause auf unserer Wache ein - aber nicht zu lang, schon geht es weiter zu einer Betriebsfeier wenige Straßen weiter. Beim Anfeuern des Grills wurde Spiritus verwendet und der Grillmeister weist jetzt großflächige Verbrennungen am Oberkörper auf und klagt über starke Schmerzen. Wir lassen ihm eine Analgesie angedeihen, verbinden seine Wunden und melden ihn im Brandverletztenzentrum an.

In der brütenden Mittagshitze führt uns unser nächster Einsatz an das Ufer der Donau. Ein Patient hat sich am Ufer den Fuß verletzt, kann nicht geortet werden und wird seit dem Morgen von Feuerwehr und Rettung von Booten vom Fluss aus gesucht. Wir lösen das Rettungsteam des Vormittags ab und halten vom Wasser aus nach dem Mann Ausschau, als einer unserer Feuerwehrkollegen im Boot kollabiert. Im Verlauf krampft er, geht über Bord und verletzt sich am Schädel. Noch auf dem Wasser versorgen wir ihn im Boot und bestellen uns dann erneut den Hubschrauber. Der Mann muss so schnell wie möglich in die Neurochirurgie.
Anschließend geht es über den Deich in ein angrenzendes Dorf. Auf dem Weg erreichen uns einige Befundungsanforderungen mit verzwickten EKGs. Manche können wir beurteilen, bei anderen sind auch wir mit unserem Latein am Ende.

Dann geht ein Notruf durch einen Passanten ein. Ein Bauarbeiter ist auf einer nahen Baustelle vom Dach gestürzt und wir stürzen uns mutig in das Getümmel einer Trauma-Reanimation. Die Anisokorie scheint das große Thema des Tages zu sein und auch diesen Patienten verweisen wir - nachdem er einen Kreislauf wiedererlangt hat - mit dem Heli in eine Klinik mit unter anderem einer Abteilung für Neurochirurgie. Es soll noch lange nicht das letzte Mal sein, dass der Hubschrauber an diesem Tag unser Neurochirurgie-Express ist.

Aber erstmal machen wir Mittagspause, auch wenn es schon längst Nachmittag ist. Stärken uns und tauschen uns mit den anderen Teams aus, die gleichzeitig auf der Wache sind.

Schließlich verlassen wir die Wache zum letzten Mal an diesem Tag. Ein Fußgänger wurde von einem Auto erfasst. Fahrerflucht. Und im Verlauf taucht auch noch der kleine Bruder des Patienten auf, der ebenfalls verletzt ist. Wieder haben wir es mit einem Schädel-Hirn-Trauma zu tun.
Auf dem Rückweg Richtung Wache assistieren wir noch kurz der Feuerwehr: bei unfassbar schlechter Sicht (man könnte fast sagen, bei völliger Blindheit) geben wir unser bestes, ein kleines Feuer zu löschen.

Kurz vor Feierabend werden wir noch in ein Wohngebiet direkt neben der Wache alarmiert. Eine alte Frau ist beim Kaffeetrinken mit der Tochter kollabiert. Die Situation stellt uns zwischen der besorgten Tochter, der alten Dame und ihrer Patientenverfügung nicht nur vor medizinische Herausforderungen. Am Ende bestellen wir hier das letzte Mal für den heutigen Tag einen Hubschrauber in die Neurochirurgie bei Anisokorie.

Kaum verlassen wir das Grundstück wieder, bricht bei den Nachbarn ein Tumult los. Die dorfbekannten Streithähne streiten schon wieder. Doch diesmal sind Schusswaffen und Messer im Spiel. Ein feierabendreifer Polizist sichert etwas widerwillig die Lage und wir teilen uns auf. Die Schusswunde des einen Patienten ist kaum stillbar, zum Glück haben wir Material zum Woundpacking dabei. Am Ende übergeben wir einen (an der Frequenz der Beleidigungen gegen seine bewaffnete Widersacherin gemessen) relativ stabilen Patienten und fahren zurück zur Wache, um endlich erschöpft Feierabend zu machen.

Was klingt, wie vielleicht der skurrilste Dienst aller Zeiten, wird noch skurriler, wenn ich verrate, dass wir alle Strecken auf dem Fahrrad zurückgelegt haben. Mit dem Notfallrucksack auf dem Rücken sind wir bei über dreißig Grad für knappe zwölf Stunden über 40 Kilometer durch das Wiener Umland geradelt. Versorgt haben wir allerdings keine echten Patient:innen, sondern Schauspieler:innen im Rahmen eines Wettbewerbs. Das ride and rescue findet einmal im Jahr bei Wien statt. Hier treten Teams aus drei bis vier österreichischen Rettungssanitäter:innen, Notfallsanitäter:innen und Notärzt:innen (und dieses Jahr erstmals auch deutschen und slowenischen sowie Medizinstudierenden) in verschiedenen Fallszenarien an und erhalten dafür Punkte. Am Ende werden die Sieger:innen der Kategorien „Basic Life Support“ (Teams ohne Ärzt:in) und „Advanced Life Support“ (Teams mit Ärzt:in) gekürt. Wir gratulieren allen Gewinner:innen, bedanken uns bei den Organisator:innen und allen Teilnehmenden für einen grandiosen Tag, tolle Begegnungen, bereichernde Gespräche und interessante Einblicke und klopfen uns selbst auch ein bisschen auf die Schulter. Für eine solide Leistung bei absolut mangelhafter Vorbereitung und für das Stellen des einzigen rein weiblichen Teams des ganzen Wettbewerbs.